Putins «düsterer Scherz» zur Ukraine

In einem Interview hat Polens Parlamentschef Sikorski von einem Versuch Moskaus gesprochen, 2008 mit Polen eine Teilung der Ukraine zu vereinbaren. Das Gespräch wirft hohe Wellen.

Rudolf Hermann, Prag
Drucken
Der polnische Parlamentsvorsitzende Radoslaw Sikorski macht brisante Aussagen. (Bild: Reuters)

Der polnische Parlamentsvorsitzende Radoslaw Sikorski macht brisante Aussagen. (Bild: Reuters)

Hat Russlands Präsident Putin vor einigen Jahren versucht, Polen für eine Teilung der Ukraine zu gewinnen? Aus einem Interview, das der amerikanische Journalist Ben Judah für die amerikanische Nachrichten-Website Politico mit dem polnischen Parlamentspräsidenten und vormaligen Aussenminister Radoslaw Sikorski geführt hat, scheint dies hervorzugehen. Bei einem Besuch des (Ende 2007 gewählten) polnischen Ministerpräsidenten Tusk in Moskau im Februar 2008 habe Putin die Ukraine als «künstliches Land» und Lwow (ukrainisch Lwiw) als polnische Stadt bezeichnet und Tusk angeboten, die Sache zusammen zu regeln. Glücklicherweise habe Tusk nicht geantwortet.

Annexions-Kalkulationen

Sikorski äusserte laut Judah in dem Gespräch auch die Ansicht, dass in Russland schon seit 2012 oder sogar 2010 Pläne für eine allfällige Annexion der Krim gemacht worden seien. Er selber habe zu dieser Zeit beunruhigende Zeichen registriert. Im polnischen Aussenministerium hätten die Alarmglocken zu läuten begonnen, als man festgestellt habe, dass Russland Kalkulationen erstelle, welche Teile der südöstlichen Ukraine bei einer Annexion wirtschaftlich vorteilhaft wären für Russland. Der Donbass sei nicht darunter gewesen, dafür aber die Regionen Dnipropetrowsk, Saporischja und Odessa. Betreffend die Krim meinte Sikorski, die Drohung einer Annexion sei für Putin der Joker gewesen, mit dem er den damaligen Präsidenten Janukowitsch in letzter Minute zur plötzlichen Abkehr vom EU-Assoziationsvertrag veranlasst habe.

In Polen wirbelte der Artikel Judahs gehörig Staub auf. Die Sprecherin von Ministerpräsidentin Kopacz, Iwona Sulik, sagte laut der Online-Plattform der Zeitung «Rzeczpospolita», Kopacz erwarte Erklärungen Sikorskis zum Interview. Wenn der Vorschlag Russlands in der von Sikorski dargestellten Form gefallen sei, dann habe Polen eine Antwort im Sinne von Souveränität, Integrität und Menschenrechten gegeben. Kopacz selber sagte, ein Vorschlag dieser Art sei ein Skandal. Kein polnischer Regierungschef werde sich je an der Teilung eines anderen Landes beteiligen.

Sikorski liess sich laut dem polnischen Rundfunk vernehmen, er habe das Interview nicht autorisiert und einige seiner Äusserungen seien «überinterpretiert» worden. Die heikelsten Passagen wurden im Politico-Interview allerdings als direkte Zitate wiedergegeben. Der Journalist Judah sagte, er verstehe nicht genau, was Sikorski mit seinem Vorwurf der «Überinterpretation» meine. Zudem seien in Amerika Autorisierungen nicht üblich. Gegenüber der «Gazeta Wyborcza» bestätigte Sikorski, das Interview mit Judah vor rund einer Woche geführt zu haben. An der zitierten Konversation Putins mit Tusk habe er damals persönlich nicht teilgenommen, doch sei er später darüber informiert worden. Eine Tonaufzeichnung existiere auf polnischer Seite nicht. Die ausgesprochenen Worte habe man als «historische Anspielung» oder «düsteren Scherz» empfinden können; sie als Vorschlag zu interpretieren, sei jedoch unrichtig.

Putins Worte hätten surrealistisch geklungen, sagte Sikorski. Es gelte aber, den damaligen Kontext im Auge zu behalten. Die Worte seien noch vor dem Bukarester Nato-Gipfel gefallen, an welchem Putin die Ukraine offen als künstliches Gebilde, zusammengeflickt aus russischen, rumänischen, ungarischen und polnischen Gebieten, bezeichnet habe, und selbstverständlich auch vor dem Georgien-Krieg. Erst diese Ereignisse und die Annexion der Krim hätten den damaligen Anspielungen Gewicht verliehen. Deshalb habe man zur fraglichen Zeit auch kein Bedürfnis verspürt, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Verlorene Illusionen

Der Kommentator Bartosz Wielinski schrieb in der «Gazeta Wyborcza», in Europa habe man ein Vierteljahrhundert gehofft, dass Kriege Vergangenheit und gewaltsame Grenzänderungen unmöglich seien. Diese Illusion habe Russland binnen weniger Monate beseitigt. Vor einem Monat habe ihm ein hoher deutscher Politiker auf informeller Ebene gesagt, der Kreml verstehe Aussenpolitik als Geheimdienstoperation. Besser könne man es kaum ausdrücken.

Zum Thema