Standard-Weltmeisterschaft :
Neureuthers Lizenz zum Tanzen

Von Ralf Weitbrecht, Baden-Baden
Lesezeit: 3 Min.
So gut tanzte Bond noch nie: Geheimagent Neureuther
Sie stehen am Anfang ihrer Karriere und zeigen, dass Tanzen nicht nur Sport ist, sondern Kunst. Niklas Neureuther und Fedora Khan gleiten mit Esprit übers Parkett – zum zweiten Platz bei der WM.

Sein Name ist Neureuther. Niklas Neureuther. Mit der Lizenz zum Tanzen. Baden-Baden, Kurhaus, Bénazetsaal: Hier kann man besonders gut über das Parkett gleiten und zeigen, dass Tanzen nicht nur Sport, sondern auch Kunst ist. Neureuther und seine Partnerin Feodora Khan mussten bis kurz vor Mitternacht warten, ehe sie ihr Glück kaum fassen konnten. Während Feodora Khan überwältigt zu Boden sank und um Fassung rang, gab ihr Neureuther wieder Halt und genoss beim gemeinsamen Gang zur Siegerehrung die Ovationen des fachkundigen Publikums. Platz zwei bei der Standard-Weltmeisterschaft in der Kür: „Das ist der Gipfel“, sagte der 31 Jahre alte Profitänzer. Es ist der Höhepunkt einer Karriere, die dank des famosen Auftritts in Baden-Baden weiteren Auftrieb nehmen soll.

Bond geht immer, hieß es im Bénazetsaal. Dort werden in stilvollem Ambiente alljährlich kurz vor Weihnachten Deutschlands beste Sportlerinnen, Sportler und Mannschaften gekürt. Der passende Ort also, um auch gefühlsbetontes, emotionales Tanzen zu zeigen. Neureuther/Khan haben sich schon vor einigen Monaten dazu entschlossen, ihre Kür nach dem berühmtesten Geheimagenten der Welt zu interpretieren: James Bond. Unterstützt von ihrem Kölner Trainer Heiko Kleibrink, zu aktiven Zeiten ein Tänzer der Extraklasse, der es gleichfalls bis zu Platz zwei bei Weltmeisterschaften gebracht hat, hat das Trio an Bond gefeilt, Figuren entworfen und geschickt in das Anforderungsprofil des Kürtanzens eingebaut. Das Votum der neun Wertungsrichter war nahezu einstimmig: Platz zwei für die Deutschen, die sich lediglich den neuen Champions Eldar Dzhafavor und Anna Sazhina geschlagen geben mussten.

Dass das Paar aus Aserbaidschan die Konkurrenz dominieren würde, hatten Kenner der Szene erwartet. In Moskau lebend, waren die Favoriten in die Kurstadt von Weltrang gekommen, um das Publikum mit ihrer Darbietung „Mirror“ zu bezaubern. Ein Spiegel als Trennscheibe zwischen Mann und Frau: Die Aserbaidschaner zeigten von Anfang bis Ende die richtigen Schritte, Gesten und Drehungen, um acht von neun Einser von den Juroren für ihren hinreißenden Auftritt zu bekommen.

Gerührt oder geschüttelt?

Bei der nächsten WM wollen sich die Meister vom Kaspischen Meer zurückziehen. Neureuther/Khan, 31 und 29 Jahre alt, stehen erst am Anfang ihrer hoffnungsvollen Laufbahn. Zwar startet das Tanzpaar, das kein Liebespaar ist, für den Deutschen Professional Tanzsportverband (DPV). Doch die Liebe zum Tanzen allein ist es nicht, die sie wirtschaftlich autark werden lässt. Während sich die in Köln lebende Khan um Flüchtlinge kümmert, arbeitet der in Siegburg wohnende Neureuther, der Molekularbiologie und Biotechnologie studiert hat, beim Deutschen Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung. Zeit fürs Tanzen? „Abends. Wir trainieren sechs Mal die Woche, jeweils zwei bis drei Stunden“, sagte Neureuther. Dass die beiden Tänzer nicht ohne Unterstützung waren, wurde schnell sichtbar. „Mehr als 100 Fans haben uns begleitet.“

Unter ihnen Neureuthers Frau und ihr zweieinhalb Jahre alter Sohn, der später einmal verstehen wird, was sein Papa auf historischem Parkett geleistet hat. Vor 110 Jahren fand in Baden-Baden das deutschlandweit erste internationale Tanzturnier statt. Der Bénazetsaal ist seitdem regelmäßiger Schauplatz welt- und europameisterlicher Veranstaltungen. Der DPV kommt gerne nach Baden-Baden, weil das Ambiente stimmt und es einfach passt.

Gerührt oder geschüttelt? Auf die Eingangssequenz ihrer Bond-Interpretation fanden Neureuther/Khan eine passende Antwort: Hauptsache mit Esprit und Emotion. Das Publikum war höchst angetan, wie die Deutschen über das Parkett glitten, Neureuther immer wieder mal mit beiden Händen die Pose des umtriebigen Geheimagenten einnahm und sie sich damit in die Herzen der Tanzsportfreunde tanzten. Dass 21 Paare aus aller Welt bei diesen Titelkämpfen an den Start gegangen waren, um für sich zu werben, unterstreicht die Attraktivität des professionellen Kürtanzens in der Standarddisziplin. „Tanzen ist eine internationale Sprache“, sagte Moderator Matthias Fronhoff.

Dazu passte auch die Latein-Einlage, zu der sich die Veranstalter entschlossen hatten. Die beiden erst 16 Jahre alten Jugend-Weltmeister Dimitri Kalistov und Luna Albanese zeigten ein Potpourri ihres reichhaltigen Könnens, das das Publikum ebenso mit Ovationen goutierte wie auch die Bond-Darbietung der neuen WM-Zweiten Neureuther/Khan.