Stiefmutter zwang ihre Tochter, die versalzene Nachspeise zu essen. Das Urteil: 14 Monate Gefängnis auf Bewährung

Frankenthal. Ein Mädchen (4) schüttet versehentlich Salz statt Zucker in den Schoko-Pudding. Die Stiefmutter entdeckt das verstreute Salz auf dem Küchenboden - und zwingt ihre Tochter, den Pudding zu essen. Das Kind stirbt daran.

"Vorsätzliche Körperverletzung", urteilte das Landgericht Frankenthal (Rheinland-Pfalz) am Freitag. Die 23 Jahre alte Stiefmutter Claudia S. kommt mit einem Jahr und zwei Monaten Gefängnis auf Bewährung davon. Den Mordvorwurf (wir berichteten) ließ die Staatsanwaltschaft am zweiten Prozeßtag fallen. Fest steht: Als die kleine Angelina den Pudding aß, enthielt er etwa 30 Gramm Salz - eine tödliche Dosis. Angelina kam mit Bauchkrämpfen und Durchfall ins Krankenhaus, fiel ins Koma und erlag den Folgen einer Natriumvergiftung. Die Richter blieben deutlich unter dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft, die eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge gefordert hatte. Die Verteidigung plädierte auf Freispruch. Angelinas Vater (31) - der Lebensgefährte von Claudia S. - und die leibliche Mutter, die dem Prozeß als Nebenkläger gefolgt waren, schlossen sich dem Antrag der Staatsanwaltschaft an.

Der Vorsitzende Richter Gerold Kraayvanger sagte in der Urteilsbegründung, die Angeklagte sei "nicht die böse Stiefmutter" gewesen. Sie habe sich um die Tochter ihres Lebensgefährten gekümmert und das Mädchen geliebt. Für einen Mord gebe es kein Motiv: "Das Gericht geht davon aus, daß Angelina sich selbst den Pudding geholt und danach Salz mit Zucker verwechselt hat." Das Kind sei offenbar hungrig gewesen, während Claudia S. zur selben Zeit ihren wenige Monate alten Sohn gefüttert haben will. Das Gericht: Als die Mutter das in der ganzen Küche verschüttete Salz entdeckte, sei sie "genervt" gewesen und ließ das Mädchen den Pudding "zur Strafe" aufessen - als "erzieherische Maßnahme".

Angelinas Tod sei "eine schreckliche Folge" dieser Entscheidung gewesen. Der Vorsitzende Richter betonte, sowohl ein Totschlag als auch eine Körperverletzung mit Todesfolge kämen juristisch nicht in Betracht, weil nicht nachweisbar sei, daß die Angeklagte wußte, wie gefährlich das in den Pudding eingerührte Salz für Angelina war. Schon ein Gramm Salz pro Kilo Körpergewicht könne tödlich sein.

Während Verteidiger Bernd Rudolph sich mit dem Urteil zufrieden zeigte, will die Staatsanwaltschaft prüfen, ob sie in Revision geht. Rechtsmediziner Peter Neis hatte im Prozeß erklärt, daß sich in dem Puddingbecher etwa zwei Eßlöffel Salz befunden haben müssen: "Kein Mensch ißt das freiwillig." Neis hatte in einem Kindergarten Versuche gemacht, bei denen Kindern Pudding mit einem kleinen Bruchteil der Salzmenge vorgesetzt worden war. Der Großteil der Kinder habe sich geweigert, den versalzenen Pudding zu essen. Nach den Worten des Sachverständigen gab es bei Angelina keine Spuren körperlicher Gewalt. Das Kind sei vermutlich durch psychischen Druck gezwungen worden, den Pudding zu verzehren. Angelina starb zwei Tage später an der Vergiftung, die zum Zusammenbruch des Herz-Kreislauf-Systems sowie zu einem massiven Hirn- und Lungenödem geführt hatte.

Im Gerichtssaal kam es nach der Urteilsverkündung zu Tumulten. Die leibliche Mutter des Kindes stürzte auf die Angeklagte zu und rief: "Du hast mein Kind getötet." Erst durch das Eingreifen mehrerer Verwandter sowie von Justizwachtmeistern konnte die Mutter gebändigt werden.