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Kalter Krieg ums TV: Fernsehen mit dem Wundertopf

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Günter Möstl

Kalter Krieg ums TV Fernsehen mit dem Wundertopf

Störsender, Propagandasendungen, abgeknickte Antennen - der Kalte Krieg machte in den sechziger Jahren auch vor dem Wohnzimmer nicht Halt. DDR-Bürger, die sich den Empfang westlicher Programme nicht verbieten lassen wollten, rüsteten auf - mit geradezu genialen Erfindungen.
Von Günter Möstl

Die Abwehr des feindlichen Angriffs begann bereits in Mutters Küche. Die Hausfrau spendierte einen Milchtopf, eventuell auch einen Tauchsieder, Vater montierte in diesem zylindrischen Gebilde die Kupferspirale, bohrte und schraubte für den Antenneneingang und Antennenausgang und befestigte eine lange Schraube mit einer Metallplatte für die Feinabstimmung - fertig war ein physikalisches Gerät mit einem martialischen Namen: "Russentod".

Die Bastelstuben befanden sich in Sachsen und Thüringen. Die West-Berliner UKW- und Fernsehsender waren weit, zu weit weg, um Töne und Bilder in den Süden der DDR zu transportieren. Aber es gab eine Alternative, hoch im Norden von Bayern: den Ochsenkopf. Der Großsender des Bayerischen Rundfunks im Fichtelgebirge strahlte in weite Gebiete der angrenzenden DDR.

Für viele DDR-Bürger tat sich Anfang der sechziger Jahre damit plötzlich eine neue Dimension auf: ein riesiges Schlüsselloch in die Welt jenseits der eben errichteten Mauer. Vertraute Stimmen aus dem Radio erhielten nun ein Gesicht. Die Bilder waren zwar grundsätzlich verrauscht, mal mehr, mal weniger, abhängig von der Großwetterlage. Dies aber war kein prinzipielles Hindernis. Wer sehen wollte, konnte sehen - sofern er weder Mühen noch technischen Aufwand scheute. Allerdings gab es da noch ein Hindernis besonderer Art.

Ungebetener Besuch

Mitten im schönsten Fernsehabend wurde das Bild plötzlich wellenartig verzerrt, und aus dem Lautsprecher ertönten russische Funksprüche. Ursache dieser Störungen waren sowjetische Militärsender, die auf dem Gebiet der DDR flächendeckend stationiert waren und dicht an der Ochsenkopffrequenz sendeten. Plötzlich die Kommandostimme der Towarischi anstelle von Peter Frankenfeld oder Caterina Valente zu hören - das war der Tiefpunkt der eingeforderten deutsch-sowjetischen Freundschaft. Doch es dauerte nicht lange, und die ersten Westfernseh-Zuschauer im Osten halfen sich selbst - mit einer in ihrer Art geradezu genialen Erfindung, eben dem "Russentod".

Es dürfte wenige Beispiele geben, wo ein relativ kompliziertes technisches Problem - die Trennung von Nutz- und Störsignal - auf so rustikale und für jedermann handhabbare Weise gelöst wurde. Man brauchte dazu keinen komplizierten Bauplan, keine elektrischen Schaltbilder und fast nur Dinge des täglichen Bedarfs. Hatte man erst einmal ein solches Gerät beim Nachbarn gesehen, genügte der Daumen für den maßstabsgerechten Nachbau. Am Ende wusste wohl niemand genau, was er da gebastelt hatte - aber es funktionierte. Der Wundertopf wurde in die Antennenleitung eingeschleift, man drehte eine Weile an der Schraube, und irgendwann verstummte die Stimme des "Großen Bruders" - fast. Der Abend war gerettet.

Das relativ unansehnliche und schwer positionierbare Gebilde wurde keineswegs versteckt, im Gegenteil, es fand seinen Platz gut sichtbar in der Nähe des Fernsehers. Zum einen, weil man hin und wieder an der Abstimmschraube drehen musste. Zum anderen setzte man damit in der Wohnstube ein deutliches Zeichen, dass die Familie rein technisch auf der Höhe der Zeit war.

Störtrupps im Antennenwald

Das Ausschalten der Störwellen allein garantierte indes noch nicht den reinen Fernsehgenuss. Je nach Lage und Entfernung zum Ochsenkopf waren erhebliche technische Anstrengungen nötig, um überhaupt ein einigermaßen erkennbares Bild auf die Mattscheibe zu bekommen. Laien wie Fortgeschrittene tüftelten und experimentierten; in der Bevölkerung kursierten Bauanleitungen für Antennen und Verstärker in unterschiedlichsten Versionen. Es galt, das Letzte aus jeder einzelnen Komponente herauszuholen. Unglücklicherweise erforderten die Sendefrequenzen aus Bayern, im Gegensatz zu den lokalen DDR-Sendern, vergleichsweise sehr große Antennen und eine vertikale Ausrichtung der Stabelemente.

Auf den sächsischen und thüringischen Dächern waren so ganze Antennenwälder der Marke Eigenbau entstanden, darin oft weithin sichtbar die sogenannte Ochsenkopf-Antenne als Schlupfloch für den Klassenfeind. Das hatte Folgen.

1961, unmittelbar nach dem Mauerbau, rief die staatliche DDR-Jugendorganisation FDJ zum Kampf gegen den Empfang des Westfernsehens auf. Sie startete die "Aktion Ochsenkopf - Blitz kontra NATO-Sender", und dies mit der Begründung, dass schon die Ausrichtung der Fernsehantennen geistiges "Grenzgängertum" erkennen lasse, das es zu verhindern gelte.

Experimente über dem Ehebett

FDJ-Stoßtrupps klingelten bei den Bewohnern und forderten sie auf, die Antenne auf dem Dach in "die richtige Richtung" zu drehen. Nicht selten wurden Antennen einfach abgeknickt oder gewaltsam entfernt. Zwar war die Aktion nicht flächendeckend, doch erzeugte sie weithin Ängste und führte zu Repressalien: Wer sich derart offenkundig der feindlichen Hetze öffnete, war an den Schaltstellen des sozialistischen Aufbaues fehl am Platze.

Doch von einem Amateurfunker hatten wir eines Tages einen Geheimtipp erhalten: die Cubical-Quad-Antenne. Ihre Ausmaße waren für Zimmerverhältnisse enorm. Zwei gleichartige Drahtrechtecke mit fast anderthalb Metern Seitenlänge standen sich im Abstand von einem Meter gegenüber, zusammengehalten durch eine aufwendige Holzkonstruktion.

Der Platz dieses sperrigen Gebildes konnte nur in der Wohnung sein. Abgesehen von der ideologischen Signalwirkung hätte es auf dem Dach des Hauses keinen Sturm überlebt. Wohin aber damit in der kleinen Wohnung? Akribisch wurde mittels zahlreicher Versuche die optimale Position ermittelt: Sie befand sich über dem Ehebett, glücklicherweise dezentral im Fußbereich. Dies war natürlich kein Ambiente zum Vorzeigen; aber mitunter heiligte der Zweck die Mittel, zumal sich die Bildqualität tatsächlich verbesserte.

Journalistische Gegenwehr

Die Bilder waren mächtig - aber der Alltag war die Realität. Auch 1969, als Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte. Ob Paris oder der Mond, für den gewöhnlichen DDR-Bürger war beides gleichermaßen unerreichbar. Die Hoffnung blieb.

Die SED-Staatsführung dürfte frühzeitig erkannt haben, dass der Empfang westlicher Programme nicht zu verhindern war. Im Kampf um die propagandistische Lufthoheit schickte sie deshalb bereits 1960 ihre schärfste journalistische Waffe an die Ätherfront: Karl-Eduard von Schnitzler, Chefkommentator des DDR-Fernsehens.

In seiner wöchentlichen Sendung "Der schwarze Kanal" zerpflückte Schnitzler die Sendungen des Westfernsehens und versah seine ausgeklügelten Zusammenschnitte mit sarkastisch ätzenden Kommentaren. "Sudel-Ede" war der häufigste Spitzname für diesen verbissenen Hardliner. Sein ideologisch propagandistischer Erfolg dürfte minimal gewesen sein. Mehr als 1500 Sendungen wurden bis Oktober 1989 ausgestrahlt, den Zusammenbruch der DDR verhinderten sie nicht.