Sie sind Jurist: Kann man die Errichtung einer Gedenkstätte grundsätzlich vor Gericht durchsetzen?
Andreas Bovenschulte: Vorweg würde ich gerne etwas zur Grundfrage sagen, bevor wir zu den juristischen Fragen kommen.
Einverstanden.
In Bremen haben wir den Großteil der Kriegsgräber auf dem Friedhof Osterholz, wohin auch viele Kriegstote nach 1945 umgebettet wurden. Das ermöglicht ein zusammenhängendes Gedenken, denn es gibt dort auch Gräberfelder für Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und andere ausländische Kriegstote. Auch die an der Reitbrake in Oslebshausen begrabenen Zwangsarbeiter sind 1948 dorthin umgebettet worden.
Der größere Teil, aber nicht alle.
Wir haben durch die Ausgrabung festgestellt, dass es damals keine vollständige Umbettung war. Wir haben einzelne Knochen gefunden, Erkennungsmarken und einzelne Utensilien von umgebetteten Toten, aber keine vollständigen Leichen. Die liegen alle in Osterholz. Mein Vorschlag ist, die jetzt gefundenen sterblichen Überreste auch dorthin umzubetten. Dorthin, wo ein würdiges Gedenken möglich ist und wo ein Gedenkort für den Vernichtungskrieg im Osten geschaffen werden soll. Das alles natürlich im Einvernehmen mit den betroffenen Nationen – insbesondere Russland und der Ukraine.
Zusätzlich zur dort bestehenden Gedenkstätte?
Ja. Ein zusätzlicher Gedenkort, der an den Vernichtungskrieg im Osten erinnert. Das halte ich auch für angemessen, 80 Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunion. Aber natürlich soll der bereits existierende Gedenkstein an der Reitbrake bestehen bleiben, kein Mensch stellt den infrage. Juristisch ist es übrigens nicht nur zulässig, sondern geradezu geboten, die sterblichen Überreste der Kriegsopfer zusammenzuführen. Das sieht das Gräberrecht ausdrücklich vor.
Die Bürgerinitiative Oslebshausen und das Friedensforum wollen stattdessen das komplette Areal an der Reitbrake zur Kriegsgräberstätte erklären. Sie stützen sich auf ein Gutachten des Völkerrechtlers Robert Heinsch von der niederländischen Universität Leiden. Kennen Sie den Inhalt?
Ja, ich habe mir das angesehen. Aber völkerrechtlich könnte die Umbettung von der Reitbrake nach Osterholz ja nur ein Problem sein, wenn die betroffenen Staaten dagegen Einspruch erheben, also die russische Föderation und die Ukraine. Da sind wir aber im engen Austausch mit den diplomatischen Vertretungen. Ich gehe deshalb davon aus, dass wir Einvernehmen erzielen. Zumal die Nazis den Bestattungsort an der Reitbrake ja, um es mal vorsichtig zu sagen, nicht nach Repräsentativität und würdigem Gedenken ausgesucht haben.
Es geht an der Reitbrake noch um 280 bis 300 dort begrabene Zwangsarbeiter. Wie realistisch ist es, bei den aktuellen Grabungen sämtliche sterblichen Überreste zu bergen?
Die Grabungen werden mit der allergrößten Sorgfalt fortgeführt und wir hoffen, dass wir den größten Teil der Knochen finden. Aber noch mal: Bisher gab es rund 2000 Einzelfunde von Knochen und Erkennungsmarken, aber keine zusammenhängenden Skelette.
Die Bremer Linke, Ihr Koalitionspartner, will den von Ihnen skizzierten Weg aber nicht mitgehen.
Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass die Linke die gefundenen sterblichen Überreste wieder an der Reitbrake, also quasi in einem Gewerbegebiet, verscharren will – und auch nicht, dass sie etwas gegen einen neuen Gedenkort in Osterholz an den Vernichtungskrieg im Osten hat.
Geht es bei dem Konflikt ausschließlich um den angemessenen Umgang mit NS-Opfern?
Mir geht es um ein möglichst würdevolles Gedenken. Ich finde, dass das nicht mit anderen Fragen vermischt werden darf.
Etwa, ob man die Bahnwerkstatt eher an der "Oldenburger Kurve" baut?
Ich hoffe sehr, dass niemand diese Diskussion instrumentalisiert, um eine bestimmte Bebauung zu verhindern.
Wie geht es jetzt politisch und juristisch weiter?
Ich werde das Projekt weiter vorantreiben und die notwendigen Beschlüsse dazu im Senat einholen. Und, soweit zur Finanzierung erforderlich, natürlich auch in der Bürgerschaft.
Das Gespräch führte Joerg Helge Wagner.